Einsatzzeiten der Rettungsdienste & Ärzteversorgung im Stadt- und Landkreis Heilbronn
Nachgefragt: Einsatzzeiten der Rettungsdienste & Ärzteversorgung im Stadt- und Landkreis Heilbronn

Meine Anfrage an die Landesregierung zu Einsatzzeiten der Rettungsdienste 2020 bis 2023 im Stadt- und Landkreis Heilbronn (Drucksache 17/5364) und die Antwort des Ministerium des Inneren, für Digitalisierung und Kommunen Baden-Württemberg (Minister Thomas Strobl) in Absprache mit dem Staatsministerium und dem Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration.

Ich fragte die Landesregierung:

  1. Wie viele Rettungsdiensteinsätze gab es 2020, 2021, 2022 und 2023 – jeweils mit und ohne notärztliche Versorgung und nach Jahren aufgeschlüsselt – im Rettungsdienstbereich Heilbronn (vergleiche Drucksachen 16/5729 und 16/8086)?
  2. Wie oft konnte die gesetzliche Hilfsfrist 2020 bis 2023 im Rettungsdienstbereich Heilbronn nicht eingehalten werden (bitte auflisten wie in Drucksache 16/5729, Frage 2)?
  3. Hat sich an der Anzahl der Notärzte, Rettungswagen und dem dafür notwendigen Personal in Bereitschaft seit den Angaben in der Antwort auf Frage 3 der Drucksache 16/8086 etwas verändert bzw. wie sind die aktuellen Vorhaltungen?
  4. Welche Notärzte, Rettungswagen und dafür notwendiges Personal in Bereitschaft werden im Rettungsdienstbereich Heilbronn derzeit vorgehalten?
  5. Bei wie viel Prozent der „ex ante“-Reanimationen wurde das Zehn-Minuten-Intervall seit der Erfassung jeweils jährlich erreicht (bitte unter Angabe der Zahl der Fälle)?
  6. Wie hat sich die Zahl der niedergelassenen Ärzte im Stadt- und Landkreis Heilbronn über die letzten fünf Jahre entwickelt (bitte jährlich angeben)?
  7. Was wurde bezüglich der fehlenden Nachfolger für niedergelassene Ärzte und Fachärzte unternommen (unter der Berücksichtigung, dass sich zunehmend Ärzte Versorgungsaufträge teilen, vergleiche ihre Angabe zu Frage 9 in Drucksache 16/8086)?
  8. Wie teilen sich derzeit die Versorgungsaufträge der Ärzte in Baden-Württemberg und im Landkreis Heilbronn bezüglich Vollzeit und Teilzeit auf?

Die Antworten der Landesregierung in der Drucksache 17/5364:

Download “Drs. 17/5364 Kl. Anfrage: Einsatzzeiten der Rettungsdienste 2020 bis 2023 im Stadt- und Landkreis Heilbronn” 17_5364_D.pdf – 122-mal heruntergeladen – 432,95 kB

Unsere Einschätzung zu den Antworten:

Zur Antwort auf Frage 1: Die Anzahl der Einsätze von Rettungswagen und Notärzten im Bereich Heilbronn steigt weiter an. Das hat sich schon seit 2015 (Drucksache 16/5729) so entwickelt. Dieser Anstieg ist merkwürdig vor dem Hintergrund, dass die Kliniken bis heute nicht ihre Patientenaufkommen erreichen, die sie vor der Coronazeit hatten. Bei zunehmender Anzahl von Einlieferungen per Rettungswagen müssen somit umso weniger Patienten selbst/freiwillig die Kliniken ansteuern.

Zu 2: Die Einhaltung der gesetzlichen Hilfsfrist war schon besser und schon schlechter. Die Verschlechterung ist, wenn auch nur minimal, aber kein gutes Zeichen. Die Regierung hat uns zudem keine absoluten Zahlen genannt, obwohl explizit von uns angefragt wurde, dass sie dieselben Angaben macht wie in der früheren Drucksache, also die Tabelle fortsetzt.

Zu 3: Im Rettungsdienstbereich Heilbronn kamen ein Notarztfahrzeug und ein Rettungswagen dazu und die Vorhaltezeit weiterer Rettungswagen wurde erhöht. Möglicherweise erklärt das, wieso es zu mehr Einsätzen kommt. Die Frage ist nun: führen mehr Fahrzeuge zu mehr unnötigen Fahrten zwecks der Abrechnung und Rentabilität dieser Fahrzeuge oder ist die geringere Anzahl an Einsätzen ohne diese zusätzlichen Fahrzeuge darauf zurückzuführen, dass mehr Menschen nicht versorgt wurden?

Da wir keine Böswilligkeit unterstellen, gehen wir nicht davon aus, dass mehr Einsätze an der Abrechnung liegen. Allerdings: da sich die Anzahl der Einhaltungen der Hilfsfrist nicht gebessert hat, spricht das nicht dafür, dass vorher mehr Menschen unterversorgt waren. Es gibt natürlich noch andere Erklärungen (die ~10% nicht eingehaltenen Fristen können schließlich von einer Minute zu viel bis hin zu unzähligen Minuten zu viel alles mögliche sein), aber das spricht doch eher dafür, dass mehr Fahrzeuge zu mehr Einsätzen führen. Aber ob man das wegen der Abrechnung macht? Die Fahrzeuge alarmieren sich schließlich nicht selbst – von daher ist das schwierig zu beurteilen. Es ist durchaus denkbar, dass z.B. Pflegeheime inzwischen eher einen Rettungswagen anfordern als früher.

Durch die „Konzentration“ von Krankenhäusern (also das Schließen von Abteilungen und ganzen Krankenhäusern) werden auch die Fahrten länger und die Verlegungen zwischen Krankenhäusern nehmen zu. Es werden also wesentlich mehr Rettungswagen benötigt. In der hier angefragten Statistik dürften diese aber keine Rolle spielen, da diese nicht per Bereitschaftsfahrzeug der Notdienste erfolgen.

Zu 5: „Ex Ante“-Reanimationen: Natürlich kann man diese nicht mit der Hilfsfrist vergleichen. Vergleichen kann man aber, dass die erfolgreichen Reanimationen sinken (2020: 77,04%, 2021: 76,79%, 2022 nur noch 73,51%). Es könnten aber auch statistische Ausreißer sein.

Zu 6: Niedergelassene Ärzte: Die Stadt Heilbronn hat statistisch gesehen kein Problem. Der Landkreis Heilbronn hat ein zunehmendes Problem mit dem Ärztemangel. Die Zahl der Ärzte sinkt rasend. Und die Tendenz ist weiter negativ wegen der Überalterung der niedergelassenen Ärzte.

Ein großes Problem der Statistik: arbeitet z.B. ein Arzt weiter, obwohl er eigentlich schon im Ruhestand wäre, so sieht die Statistik diese Stelle nicht als „unbesetzt“ an, obwohl der Arzt eigentlich schon längst im Ruhestand wäre, wenn es denn einen Nachfolger geben würde. Ärzte in Krankenhäusern gehen meistens mit üblichem Alter in den Ruhestand, aber besonders die niedergelassenen Hausärzte arbeiten oft weit länger als bis zum normalen Rentenalter.

Zu 7: Fehlende Nachfolger: Das Förderprogramm zur finanziellen Unterstützung weiterbildender Praxen verschiebt ein Problem, löst es aber nicht. Wenn niedergelassene Ärzte einen Zuschuss von bis zu 5.400 Euro/Monat bekommen, um Weiterbildungsassistenten eine „vergleichbare Vergütung wie im Krankenhaus zahlen zu können“, dann fehlen diese danach eben im Krankenhaus.

Genauso ist das Förderprogramm ZuZ nur für eine Verschiebung gut, kostet aber Millionen. Die Regierung nennt dies „Steuerungsinstrument“. Mehr Ärzte bekommen wir damit aber trotzdem nicht. Auch die weiteren Maßnahmen sind nur Steuerungsinstrumente zur Umverteilung der Probleme.

Die Problematik der fehlenden Ärzte ist schon lange bekannt, lange absehbar und wird immer schlimmer. Es muss also schleunigst gegengesteuert und nicht anders umverteilt werden. Möglichkeiten dazu sind u.a.
> Mehr Ausbildung. Dafür langen aber die Kapazitäten der Universitäten gar nicht mehr. Notfalls müsste man also andere Lehrstühle streichen, die wesentlich weniger wichtig sind (z.B. Gender).
> Mehr Anreize im Alter weiterzuarbeiten.
> Mehr Ärzte in Deutschland halten (bessere Arbeitsbedingungen).
> Mehr Ärzte nach Deutschland holen (andere Länder sind bisher sehr viel attraktiver für Ärzte).
> Mehr Ärzte zu Vollzeit statt Teilzeit motivieren (Wir brauchen für 2 Teilzeit-Ärzte doppelt so viele Ausbildungsplätze!)

Wir respektieren die Word-Life-Balance und wenn Menschen weniger arbeiten und mehr Zeit für Familie und Freizeit haben wollen. Als Gesellschaft müssen wir aber berücksichtigen, dass zwei Teilzeit-Kräfte statt einer Vollzeitkraft doppelt so viele Ausbildungsplätze benötigen. Ebenso sollten wir überlegen, ob sich Medizinstudenten nicht verpflichten sollten nach ihrem Abschluss auch in Deutschland zu arbeiten und ggf. eine bestimmte Anzahl von Jahren in Vollzeit, ansonsten müssen sie anteilig Kosten für ihr Studium zurückzahlen. Das sind (noch) keine offizielle Standpunkte der Partei und/oder Fraktion, jedoch müssen wir als Gesellschaft darüber nachdenken Anreize zu setzen, damit wieder mehr Stunden geleistet werden.