Nachgefragt: Enteignungen, Zwangsansiedlungen und Beschlagnahmungen
Nachgefragt: Enteignungen, Zwangsansiedlungen und Beschlagnahmungen

Meine Anfrage an die Landesregierung zu Enteignungen, Zwangsansiedlungen und Beschlagnahmungen, insbesondere zur Unterbringung von Flüchtlingen (Drucksache 17/5507), die ich zusammen mit Carola Wolle eingereicht habe, und die Antwort des Ministerium der Justiz und für Migration Baden-Württemberg (Ministerin Marion Gentges) in Absprache mit dem Staatsministerium, dem Ministerium des Inneren, für Digitalisierung und Kommunen, dem Ministerium für Finanzen, dem Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft und dem Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen.

Unsere Fragen an die Landesregierung:

  1. Zu welchen Enteignungen oder enteignungsgleichen Eingriffen kam es durch das Land und die ihm untergeordneten Behörden (zum Beispiel Regierungspräsidien) in den letzten fünf Jahren (bitte auflisten mit Details wie Objekt, Besitzer, Anlass, Datum und Entschädigung)?
  2. Plant sie selbst oder die ihr untergeordneten Behörden Enteignungen oder enteignungsgleiche Eingriffe, um schneller Wohnraum für die Ankunft von Flüchtlingen oder als Ersatz für die Landeserstaufnahmeeinrichtungen (LEA) schaffen zu können?
  3. Wie schätzt sie derzeit die Möglichkeit von Beschlagnahmungen oder beschlagnahmungsgleichen Eingriffen von Grundstücken oder Gebäuden zur Unterbringung von Flüchtlingen ein?
  4. In wie vielen Fällen wurden in den letzten fünf Jahren gegen den Willen von kommunalen Gremien (insbesondere Gemeinderäte, Kreistage) Maßnahmen durch Landesbehörden durchgesetzt, beispielsweise der Bau von Unterkünften?
  5. Wie viele und welche Kommen haben in diesem Jahr Gemeinde- und Turnhallen als Notunterkünfte belegt (bitte auflisten unter Nennung der Kommune, der betroffenen Halle, des Zwecks, der Anzahl der untergebrachten Personen und des genutzten Zeitraums)?
  6. In welchen Fällen hat das Land von der 2015 verabschiedeten Sonderregel im Baugesetzbuch (BauGB) § 246 Gebrauch gemacht (bitte jeden Gebrauch detailliert beschreiben)?
  7. Was ist bei der laut Ministerpräsident Kretschmann gegenüber der „Schwäbischen Zeitung“ vom 20. September 2023 („Land prüft Unterbringung von Flüchtlingen gegen Willen der Gemeinden“) „ganz konkreten“ Prüfung der Möglichkeit zur Bestimmung von Standorten zur Unterbringung von Flüchtlingen per Gesetz bisher her-ausgekommen bzw. plant sie solche Gesetze in den Landtag einzubringen?
  8. Was sind die praktischen Auswirkungen der im „Gesetz zum Erlass eines Klimaschutz- und Klimawandelanpassungsgesetzes und zur Verankerung des Klimabelangs in weiteren Rechtsvorschriften“ (Drucksache 17/3741) unter Punkt 3.3 beschriebenen Enteignungen von Hausbesitzern bei einem Anschluss- und Benutzungszwang?
  9. Hält sie Enteignungen zur Schaffung neuen Wohnraums für denkbar, wie dies der inzwischen als Vizekanzler tätige Robert Habeck (GRÜNE) 2019 äußerte?

Unsere Begründung:

Die Zeitung „Schwäbische“ veröffentlichte am 20. September 2023 einen Artikel mit dem Titel: „Neues Konfliktpotenzial: Land prüft Unterbringung von Flüchtlingen gegen Willen der Gemeinden“. Darin heißt es: „Als letzte Möglichkeit könnten die Behörden den Bau solcher Unterkünfte [für ankommende Flüchtlinge] gegen den Willen der betroffenen Gemeinderäte durchsetzen. Den rechtlichen Spielraum dafür gibt es.“

Im Artikel wird davon berichtet, dass vielerorts Notunterkünfte eingerichtet wurden und Gemeinde- und Turnhallen belegt worden sind. „In den Unterkünften und deren Umfeld kommt es immer wieder zu Zwischenfällen und Straftaten, meist unter den Flüchtlingen. Außerdem sei ihre kommunale Planungshoheit rechtlich streng geschützt.“

Weiter steht im Artikel: „Eine weitere Möglichkeit hat das Land bereits 1998 einmal genutzt. Damals bestimmte der Landtag per Gesetz den Standort der Messe Stuttgart. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“ schon im April gesagt, solche Möglichkeiten verfolge seine Landesregierung ‚ganz konkret‘. Seitdem prüft das Justizministerium. Längst sagen aber sowohl führende Grüne als auch Schwarze: Wenn sich nicht rasch eine andere Lösung finde, sei die Zwangsansiedlung von Unterkünften das letzte Mittel.“

Der heutige Bundesminister und Vizekanzler Robert Habeck (GRÜNE) erklärte bezüglich der Schaffung neuen Wohnraums bereits 2019, dass er Enteignungen für denkbar halte. Darüber berichtete zum Beispiel die FAZ vom 9. April 2019 „Warum findet Habeck Enteignungen auf einmal gut?“ und schrieb weiter, dass die FDP Habeck vorwarf, nun die „bürgerliche Maske fallen zu lassen“.

Die Antworten der Landesregierung in der Drucksache 17/5507:

Download “Drs. 17/5507 Kl. Anfrage: Enteignungen, Zwangsansiedlungen und Beschlagnahmungen”

Antwort-JuM-5507.pdf – 75-mal heruntergeladen – 235,67 kB

Unsere Einschätzung zu den Antworten:

  • In den letzten fünf Jahren gab es sechs abgeschlossene Enteignungen und 15 Verfahren sind noch nicht abgeschlossen. Diese müssten aber hauptsächlich mit Verkehrsprojekten zusammenhängen. Die Regierung bezieht sich auf in den letzten fünf Jahren “eingeleitete” Verfahren, daher sind wohl so viele noch offen, da das ein langer Prozess ist. Sie hätte ebenso aber die in diesem Zeitraum beendeten Verfahren benennen können, das hätte die Frage hergegeben. Vielleicht hat sie das also nur wegen dem Aufwand nicht gemacht, vielleicht versucht sie auch etwas (wie deutlich höhere Zahlen) zu verstecken.

    Der Datenschutz dient jedenfalls wieder als Ausrede dafür, dass man keine konkreten Angaben macht. Natürlich hätte man nicht die enteignete Person selbst zwangsläufig benennen müssen (allerdings dürften bei so wenig Fällen diverse sogar in der Presse oder regional bekannt gewesen sein), aber man hätte durchaus benennen können, um was es dabei geht oder wie man entschädigt hat (anderes Grundstück, Geld, offener Rechtsstreit, etc.)
  • Die Regierung sagt klar, dass von ihr und ihren nachgeordneten Behörden keine Enteignungen geplant sind für “Schutzsuchende”. Wir glauben ihr das nur bedingt. Denn vermutlich will nur kein Bundesland den Anfang machen, aber sobald ein anderes Bundesland damit beginnt wird die Hemmschwelle für alle anderen Bundesländer auch fallen. Dafür spricht eben auch die in der Begründung zitierte Aussage des Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) gegenüber der Presse.
  • Die Regierung sagt selbst, dass die Beschlagnahme durch die Gemeinden zur Unterbringung von Flüchtlingen eine unmittelbar drohende Gefahr erfordern würde. Sie sagt selbst, dass dazu alle anderen Möglichkeiten zur Unterbringung wie Zelte, Hallen oder die Anmietung von Hotels usw. ausgeschöpft sein müssen. Privatpersonen können also aufatmen, doch es wird für die Gemeinden richtig teuer werden, denn letztlich müssten sie erstmal sämtliche Hotels und Pensionen nutzen, nahezu egal was diese verlangen. Auch zur Miete angebotene Objekte müssten demnach klar Vorrang haben, selbst wenn die Mietkosten überteuert wären. Nur wegen hohen Kosten kann schließlich kaum von einer “unmittelbar drohenden Gefahr” gesprochen werden.
  • Erstaunlich ist, dass sich Landesbehörden angeblich nie gegen den Willen von kommunalen Gremien durchgesetzt haben. Dann waren es wohl nur fleißige Landkreise/Landkreisverwaltungen, die sich bisher über Entscheidungen von Gemeinderäten hinweggesetzt haben. Das zumindest kommt immer wieder vor.
  • Unter der Antwort zu Frage 5 gibt es eine Liste mit bereits belegten Hallen zur Flüchtlingsunterbringung.
    > In Heilbronn ist die “Freizeitsporthalle” seit 01/2023 für 48 Personen darunter,
    > in Ludwigsburg eine Sporthalle und ebenso in Bietigheim-Bissingen,
    > im Landkreis Heilbronn ist die Turnhalle der Kreisberufsschule seit 09/2022 mit etwa 83 Flüchtlingen belegt.
  • Für die Landesregierung ist die Suche nach Plätzen für Flüchtlingen jetzt eine “Daueraufgabe im Sinne des öffentlichen Gesamtinteresses”. Das ist einfach nur konzeptlos.